Mehr Achtsamkeit für Corona-Spätfolgen nötig
Mit der Unterstützung der Rechtsberatung des Sozialverbandes VdK Nord versuchen viele Mitglieder, die an Langzeitfolgen einer Corona-Infektion leiden, dieser neuartigen Erkrankung juristisch gerecht zu werden.

„Es war alles zu viel für mich“
Nur ein paar Stufen der Haustreppe kann Nicola Bode hinaufsteigen, bevor sie sich hinsetzen und kurz ausruhen muss. Noch ein weiteres Mal pausiert sie auf der Treppe, bevor sie ihre Wohnung im zweiten Stock erreicht. Schon seit langem leidet sie unter chronischer Erschöpfung, hervorgerufen offensichtlich durch zwei Corona-Infektionen. Vor drei Jahren erkrankte die damals 53-Jährige erstmals an Covid-19. Angesteckt hat sie sich wahrscheinlich in der Freizeit, da sie als Buchhalterin im Homeoffice arbeitete. Zwei Wochen lag sie im Bett, hatte eine starke Erkältung mit Kopf- und Gliederschmerzen. Schon damals litt sie in der Folge unter ständiger Erschöpfung. In der Arbeit fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Konferenzen waren für sie extrem anstrengend. An Long-Covid dachte sie – ebenso wie ihre Hausärztin – zum damaligen Zeitpunkt nicht. Stattdessen ging sie von Überarbeitung und Burnout aus und reduzierte ihre Arbeitszeit von fünf auf vier Tage pro Woche. Doch die Beschwerden blieben. Alles fiel ihr schwer, und sie litt ständig unter Kopf- und Gliederschmerzen. Da sie sich in der Firma zuletzt nicht mehr wohlfühlte, kündigte sie. Nicola Bode hoffte, dass dies Besserung brächte. Doch diese blieb leider aus. „Ich war nicht in der Lage, mich zu bewerben“, berichtet sie. „Es war alles zu viel für mich.“ Als sie mal wieder zu ihrer Hausärztin ging, brach sie zusammen. Ihre Ärztin schrieb sie krank, schickte sie zur Psychiaterin, die eine depressive Episode und Burnout diagnostizierte.
Mitglied werden

Der Akku lädt nicht mehr über 20 Prozent
Im November 2023 infizierte sie sich ein zweites Mal mit Corona. Auch als der Test wieder negativ war, litt sie noch länger unter Kopf- und Gliederschmerzen, hatte keinen Geschmacks- und Geruchssinn mehr und kämpfte gegen ständige Erschöpfung. Erst dann kamen ihre Hausärztin und sie zu dem Schluss, dass sie an Long-Covid erkrankt sein musste. Da die Symptome länger als drei Monate anhielten, wurde es schließlich Post-Covid.
Nach über einem Jahr im Krankenstand ist ihr Krankengeld nun ausgelaufen. Derzeit kämpft sie mit Unterstützung des VdK Nord im Widerspruchsverfahren um eine Erwerbsminderungsrente. Eine Vollzeittätigkeit ist nicht vorstellbar. Mit ihren Kräften muss sie extrem haushalten. Um anderen deutlich zu machen, wie es ihr geht, vergleicht sie ihre täglichen Energiereserven mit einem Akku. „Wenn ich aufwache, ist dieser nicht bei 100, sondern nur bei 20 Prozent“, erzählt sie. Hat sie an einem Tag einen Termin außer Haus, fällt der Akku bis zum Abend auf null Prozent. Mehr als zwei bis drei Termine in der Woche sind nicht möglich. Frühere Hobbys wie Tango Argentino sind unmöglich. Manchmal tanzt sie mit ihrem Mann ein paar Minuten lang zuhause, auch wenn sie anschließend erschöpft ist. „Es ist alles nicht mehr wie vorher“, sagt sie. „Mein ganzes Leben ist weggebrochen.“
Anderen VdK-Mitgliedern mit Corona-Spätfolgen geht es ähnlich und versuchen, eine Erwerbsminderungsrente oder einen Grad der Behinderung zu beantragen. Allerdings sind die Symptome dieser Erkrankung – unter dem Begriff Post-Covid zusammengefasst – sehr unterschiedlich und teilweise fast diffus.

Es gibt keine zuverlässige Erfassung
Für die juristische Einordnung von Post-Covid bedeutet das: Die gesundheitlichen Einschränkungen, die die Betroffenen seit der Infektion erfahren, sind oft sehr schwierig zu objektivieren. Es gibt keine einheitliche Bemessung für den Grad der Behinderung bei Post-Covid in der entsprechenden Rechtsgrundlage, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Das erschwert die Arbeit der VdK-Rechtsberater, verzögert Verfahren und verlängert häufig die Leiden und die Ungewissheit für die Betroffenen.
Tim Golke, Bezirksverbandsgeschäftsführer beim VdK Nord, beobachtet eine Schwachstelle in vielen Verfahren: „Ich sehe immer noch ein großes Qualifikationsdefizit bei den Gutachtern des Ärztlichen Dienstes der Deutschen Rentenversicherung.“ Betroffene würden sich auch nicht richtig von den Behörden wahrgenommen fühlen. Außerdem seien in der Ärzteschaft bisher kaum praktikable Algorithmen zur Diagnose bekannt.
Tatsächliche Verbesserungen im Umgang mit der Krankheit wird es erst geben, wenn Post-Covid besser erforscht ist. Wenn sich ein routinierter Umgang mit der Krankheit und möglichen Behandlungsmethoden ergeben hat, wird die juristische Arbeit einfacher werden. Dann erst wird der Nachweis der tatsächlichen Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Post-Covid-Erkrankungen weniger aufwändiger werden. Bis dahin wünscht sich Golke im Umgang mit den Erkrankten vor allem eins: „Mehr Achtsamkeit.“ Der Jurist erklärt: „Unser Gesundheitssystem ist so auf Effizienz getrimmt. Die Betroffenen sind schwerkrank. Sie werden nur als Störfälle wahrgenommen und passen dort nicht rein.“