Kategorie Sozialrecht

Sozialrechtsverfahren müssen schneller werden

Sozialrechtliche Verfahren, die eine Beurteilung des Gesundheitszustands erfordern, dauern in Schleswig-Holstein immer länger, beobachtet der Sozialverband VdK Nord mit großer Sorge.

Verfahrenszeiten von drei Jahren mehr Regel als Ausnahme

Ob für Pflegegrad, Erwerbsminderungsrente oder Feststellung einer Behinderung: Allein bei einem Antrag warten Betroffene oft bis zu einem halben Jahr, teilweise sogar über ein Jahr. An den Sozialgerichten sind Verfahrenszeiten von drei Jahren und länger inzwischen mehr die Regel als Ausnahme. Spitze des Eisbergs ist der Fall einer Familie, die mit dem VdK seit fünf Jahren vor dem Sozialgericht Itzehoe um einen Pflegegrad für ihre Tochter mit Diabetes Typ 1 in einer schweren Form kämpft.

Situation für Betroffene extrem zermürbend

Dazu VdK-Landesgeschäftsführer Ronald Manzke:

„Es muss endlich was passieren. Für die betroffenen Menschen ist die Situation extrem zermürbend und belastet sie zusätzlich zu ihrer gesundheitlichen Einschränkung – vor allem wenn es um konkrete Nachteilsausgleiche geht, die ihnen das Leben erleichtern. Hinzu kommt, dass überlange Wartezeiten und nachlassende Qualität in der Bearbeitung das Misstrauen in Staat und Verwaltung verstärken. Viele unserer Mitglieder erzählen uns, dass sie das Gefühl haben, nicht mehr ernst genommen zu werden. Letztlich verursachen die zunehmenden Laufzeiten der Verfahren erhebliche Kosten nicht nur bei den Betroffenen. Am auffälligsten wird dies im Bereich der Pflegebegutachtung, da dort nach einem gewissen Zeitablauf pauschale Strafzahlungen zu leisten sind, die allein in Schleswig-Holstein mittlerweile jährlich in Millionenhöhe anfallen.

Endlosverfahren um Pflegegrad 2

2018 hat Rafeala Tödtmann-Brandt ihren gesamten Alltag ändern müssen, um für ihre Tochter da zu sein. Josephine (12) leidet an Diabetes mellitus Typ 1, ist in stetiger Gefahr, zu unterzuckern. Die chronische Krankheit hält die Familie auf Trab – wie das Verfahren um einen höheren Pflegegrad. 

Kurz nach der Diagnose beantragt Tödtmann-Brandt einen Pflegegrad. Nach Begutachtung erkennt die Pflegekasse den Pflegegrad 1 an. Für Tödtmann-Brandt zu wenig, um ausreichend Unterstützung organisieren zu können. Nach erfolglosem Widerspruch erhebt sie mit dem VdK Nord im Mai 2019 Klage vor dem Sozialgericht Itzehoe. Es folgen Gutachten – die Empfehlungen gehen von Pflegegrad 2 bis hin zu 3 – und langes Warten. Erst im Februar 2022 bestellt das Sozialgericht eine Schiedsgutachterin. Ihr Ergebnis: Pflegegrad 3 sei für Josephine angebracht. Doch die Pflegekasse sieht eine große Diskrepanz mit dem Erstgutachten für Pflegegrad 1. Und so geht es zwischen Pflegekasse, dem Medizinischen Dienst Nord, Gericht und VdK wieder hin und her – und das Gerichtsverfahren zieht sich mittlerweile fünf Jahre. Ohne Ergebnis. „Was hier verwehrt worden ist, kann keiner zurückbringen in Bezug auf die Lebensqualität“, so VdK-Jurist Tim Golke.

VdK-Sozialrechtsreferent Tim Golke, Rafaela Tödtmann-Brandt und Tochter Josephine mit den dicken Aktenordnern. © Jelowik/VdK Nord

Mehr Personal, weniger Gutachten, neue Beratungsstrukturen

Unsere Forderung ist klar: Die sozialrechtlichen Verfahren müssen kürzer und effizienter werden. Dazu muss zum einen die Personalsituation in den Sozialbehörden und Sozialgerichten dringend verbessert werden. Vor dem Hintergrund der dort anstehenden Pensionierungswelle ist es bereits kurz nach 12. Zum anderen würden sich Verfahren beschleunigen lassen, indem man den Einschätzungen der behandelnden Ärzte folgt und auf weitere Begutachtungen verzichtet, sofern diese sich nicht zwingend aufdrängen. Den Ärzten attestiert man in Notlagen wie zuletzt während der Corona-Pandemie eine große Fachlichkeit und Vertrauenswürdigkeit, nur wenn es um die Einschätzung von Folgen gesundheitlicher Beeinträchtigungen geht, wird ihnen Befangenheit unterstellt und ihr Urteilsvermögen angezweifelt – das passt nicht zusammen.

Außerdem sollte präventiv mehr gemacht werden: Warum nicht neue Wege gehen und Beratungsscheine für unabhängige Beratungsstellen, Ansprechpartner in den Krankenkassen oder Gesundheitszentren herausgeben? Dadurch würden sich bereits im Vorfeld eine Menge Fragen klären lassen und helfen, unnötige Verfahren auszusortieren.“